Meine Geschenkidee: Mama erzähl‘ mal … und ich höre zu

Bald ist Advent. Wieder werden viele der beliebten »Erzählbücher« gekauft und verschenkt, an Mutter, Vater oder Großeltern. Was »Mama/Papa/Oma/Opa erzähl mal« oder ähnlich heißt, sind eigentlich Schreib- oder Ausfüllbücher. Mit zeithistorischen Fotos und Fragen, die den Lebensweg des Beschenkten abbilden sollen. Sie sollen zum Schreiben anspornen und dafür Stichworte und Impulse liefern. Außerdem sollen sie zum Medium werden, in dem die Episoden und Geschichten dauerhaft ins Familienerbe übergehen. Und das heißt oft: zurück ins Eigentum des Schenkenden.

Ein gut gemeintes Geschenk

Wenn eine solche Weihnachts- oder Geburtstagsgabe auch nicht wirklich »persönlich« ist (sie kommt vielhundertfach aus der Druckerei), zielt sie doch auf Persönliches ab, auf mehr als den bloßen Augenblick des Schenkens. Und es geht auch nicht um den materiellen Austausch, der gerade ältere Menschen — sofern keine Sammler — wenig interessiert.

Trotzdem möchte ich Ihnen vom Kauf eines solchen Buches abraten — und Ihnen vorschlagen, die Idee, die hinter den »Erzählbüchern« steckt, konsequent zu Ende zu denken.

Für wen sind die Ausfüllbücher?

Entweder der oder die Beschenkte kennt sich mit dem Schreiben aus. Dann wäre sie/er in der Lage, auch ohne eine feste Vorlage zu schreiben. Ohne feste Zeilenzahl pro Frage. Ohne »Durchschnittsfotos«, die zwar als zeitgeschichtliche Erinnerung funktionieren können, aber oft gar nichts mit dem Leben zu tun haben, von dem erzählt werden soll. Wer in der Lage ist, seine Erinnerungen in Buchform zu bringen, kann sicherlich auch entscheiden, ob und wann er es tun möchte. Und warum.

Wenn Sie jemanden kennen, der regelmäßig biografisch schreibt, schenken Sie ihm also lieber ein schönes leeres Notizbuch. (Bei größerem Budget: einen Laptop oder einen Schreibkurs.)

Oder aber das Schreiben fällt der oder dem Beschenkten schwer. Sie hat keine Schreiberfahrung, liest vielleicht auch nicht häufig. Dann ist die Aufforderung, doch diese hundert und mehr Seiten per Hand auszufüllen, fehl am Platz. Eine Überforderung. Die Motivation, Ihnen als dem/der Schenkenden gerecht zu werden, reicht nie und nimmer aus, diese anstrengende Arbeit auf sich zu nehmen.

Warum möchten Sie ein Ausfüllbuch schenken?

Wenn Sie ein solches Buch verschenken, wollen Sie mehr erfahren. Geschichten von diesem vertrauten und doch ein wenig fremden Leben. Sie sind sich bewusst, wie wertvoll diese Geschichten für Sie sind. Vielleicht auch für Ihre Kinder oder Geschwister.

Oder Sie spüren das Erzählbedürfnis des oder der Beschenkten und möchten diesem Bedürfnis irgendwie entgegenkommen.

In beiden Fällen greift das Buch-Geschenk zu kurz. Denn wenn Sie mehr vom Leben, sagen wir der Großmutter, erfahren möchten, sollten Sie auch etwas dafür tun. Sie zum Beispiel besuchen, ihr zuhören, und das Buch mit ihr gemeinsam ausfüllen. In meinem Erzählblätter-Buch »Schreibend erzählen« nenne ich das so: Sie sollten ein „biografischer Partner“ werden. Ihr leibhaftig vorhandenes Interesse wird mehr und bessere Geschichten hervorbringen als ein Buch auf dem Schreibtisch oder im Regal.

Und wenn Sie zuhören, befriedigen Sie auch das Erzählbedürfnis, das wir im übrigen alle haben, nicht nur die Älteren. Nicht das Bedürfnis ändert sich im Laufe des Lebens, sondern das, wovon man erzählen möchte.

Ein bisschen besser schenken

Ich schlage also vor, dass Sie nicht nur ein Ausfüllbuch schenken, sondern etwas Besseres dazu: viel Zuhör-Zeit. Denn das Zuhören lässt sich durch nichts ersetzen.

Sie können statt der Bücher auch Erzählblätter verwenden, einzelne Seiten, die je nach Erzähler/in ausgesucht und gemeinsam ausgefüllt und gestaltet werden können.

So kommt, bei jedem Besuch der (Groß-)Eltern, ein Blatt zum Lebensbuch dazu, als Zeichen der Wertschätzung und des Interesses. Und wenn, im Überschwang des Erzählens, mehr zur Sprache kommt, als aufgeschrieben werden kann: umso besser. In den meisten Fällen ist das Tun wichtiger als das Fertigwerden.