„Ist meine Biografie von Interesse?“ — eine Antwort

Die Anfrage

Vor einigen Tagen bekam ich diese Anfrage per E-Mail (gekürzt und anonymisiert):

Ich möchte von Ihnen unverbindlich erfahren, ob meine Aufzeichnungen von meinem privaten und geschäftlichen Leben von Interesse sein könnten.
[…] ich bin kein Künstler, kein Sänger, kein Prominenter, kein Politiker, ich
habe lediglich versucht, mein Leben so gut es ging zu gestalten […]
Die Aufzeichnungen sind ungefähr 650 Seiten lang. […]
Sollten sie in irgendeiner Weise interessant sein, lassen Sie mich das wissen.

Meine spontane Reaktion:

  1. Woher soll ich das wissen?
  2. Ja, natürlich.
  3. Wahrscheinlich nicht.

Sie merken: Diese Anfrage ist nicht leicht zu beantworten. Es kommt darauf an, was man meint. Ob sie mich interessieren (dazu müsste ich sie erst lesen), ob sie überhaupt jemanden interessieren, oder ob sie für ein größeres Publikum und den Buchmarkt (wirtschaftlich) interessant sind.
Darum schrieb ich meinem potentiellen Kunden eine etwas längere E-Mail.

Hier meine Antwort-Mail:

Sehr geehrter Herr …,

vielen Dank für Ihre Anfrage — und herzlichen Glückwunsch für die 650 Seiten, die Sie zu Papier gebracht haben. Das ist eine reife Leistung.

Es ehrt mich, dass Sie mir als Experten die Beurteilung Ihres Textes anvertrauen. Allerdings scheint mir Ihre Anfrage auch ein Missverständnis zu beinhalten, das ich in Folgenden gerne aufklären möchte. „Interesse“ ist nämlich nichts, was einen Text auszeichnet wie etwa ein flüssiger Schreibstil oder eine spannende Erzählweise. Vielmehr muss ein Leser ein gewisses Interesse mitbringen, um sich überhaupt auf den Text einzulassen. Ihn muss etwa das Thema interessieren, von dem die Rede ist. Mein Schwager ist zum Beispiel leidenschaftlicher Bastler und „Pilot“ von Modellflugzeugen. Ihn interessieren Bücher und Zeitschriften, die davon handeln — mich nicht.

Wen interessieren (Auto-)Biografien?

(Auto-)Biografien stoßen in der Regel dann auf Interesse, wenn die Person, um die es geht, dem Leser bereits bekannt ist. Daher die vielen Biografien von Fernseh-Prominenten, Sportlern usw. Umgekehrt heißt das aber auch: Wer Sie kennt, wird sich in der Regel auch für Ihr Buch interessieren. Als Unternehmer haben Sie sicherlich einen recht großen Bekannten- und Freundeskreis, also schon einmal eine Anzahl Leser sicher. Bei den eigenen Kindern, Enkel usw. ist das Interesse in der Regel noch viel größer. Hinzu kommt: Bücher kann man auch noch lesen, wenn die Autoren verstorben sind. Wie sehr würden Sie sich für eine Autobiografie Ihres Ururgroßvaters interessieren, der in längst vergessener Zeit lebte?

Wenn Sie also fragen, ob Ihre Aufzeichnungen „in irgendeiner Weise interessant sein“ könnten, kann ich das guten Gewissens bejahen, ohne sie gelesen zu haben (ich habe trotzdem kurz reingeschaut).

Öffentliches Interesse

Aus Erfahrung nehme ich jedoch an, dass Ihre Frage anders gemeint ist. Vielleicht fragen Sie mich, ob Ihr Buch für eine zahlenmäßig große „allgemeine Leserschaft“ attraktiv ist und Interesse und womöglich Kauflust wecken könnte? Also für Leser, denen Sie ausdrücklich nicht bekannt sind!

Bei reinen Autobiografien ist das nur höchst selten der Fall. Irgendwie muss ja eine Verbindung zum Leser hergestellt werden, wenn er sich für ein bestimmtes Buch interessieren soll. Zwar ist jedes Menschenleben interessant, wenn man gut erzählen und schreiben kann, aber es gibt einfach zu viele. Daher werden Leser nach zusätzlichen Kriterien suchen und das ist, wie oben beschrieben, in erster Linie das Thema. Wer zum Beispiel an einer bestimmten Krankheit leidet, interessiert sich für die Lebensgeschichten von Menschen, die dieses Schicksal teilen. Das Interesse am Menschen wird also durch das Thema gelenkt. Je pointierter, desto vielversprechender im Hinblick auf die allgemeine Leserschaft. Ein Freund oder eine Enkeltochter mag dann vielleicht etwas vermissen, denn er oder sie interessiert sich für die gesamte Erfahrungsbreite des Freundes oder Großvaters.

Zufriedene Leser (ob viele oder wenige)

Gerne würde ich Ihr Buch (oder den von Ihnen gesandten Auszug) lesen und im Hinblick auf Verbesserungsmöglichkeiten überprüfen. Dieses Angebot nenne ich Manuskriptberatung (hier eine nähere Beschreibung). Das Interesse möglicher Leser kann ich damit leider nicht beeinflussen, aber dafür sorgen, dass diejenigen, die es lesen, auch damit zufrieden sind und es möglicherweise sogar jemandem weiterempfehlen, der Sie noch nicht kennt. (Denn eine persönliche Empfehlung ist eine wirksame Art, Interesse zu wecken). Vielleicht stoße ich beim Lesen auf Themen, die aus meiner Sicht für ein allgemeines Publikum von Interesse sein könnten. Sie könnten dann überlegen, diese zu vertiefen.

Eine ärgerliche Schwierigkeit für die Verfasser von Autobiografien besteht darin, dass die eigentlichen Experten für den Buchmarkt und das Publikumsinteresse mit so vielen Angeboten konfrontiert werden, dass sie hohe Hürden aufbauen, bevor sie ein Manuskript überhaupt prüfen. Das sind Verlagslektoren und Literaturagenten, deren wirtschaftlicher Erfolg von einer professionellen Auswahl abhängt.

Fazit:

Wer heute seine Autobiografie schreibt, muss in der Regel selbst entscheiden, wem er sie in welcher Form zugänglich macht. Und auf welcher Qualitätsstufe er sie seinen Lesern anbieten möchte. Ob sie zum Beispiel überarbeitet und/oder lektoriert werden sollen. Dazu würde ich Sie gerne einladen. Weil eine schöne äußere Form, vom Satzbau über die Orthografie bis zu Bildern und dem Layout, den Inhalt würdigt. Und der besteht schließlich aus nichts Geringerem als Ihrem eigenen Leben.

Herzliche Grüße,

Stefan Kappner

P.S.: Ähnliche, aber doch etwas anders gelagerte Überlegungen finden Sie in diesem Artikel: