Verlorene Heimat

So stark Christine Papsch ihr Leben als Frau in die Hand nehmen kann und konnte: Wesentliche Entscheidungen wurden, wie so häufig in ihrer Generation, von Männern bestimmt. Die Wahrheit über ihre Väter erfuhr die junge Christine erst, als sie mit 18 Jahren ihr Elternhaus verließ und von Thüringen nach Bayern ging (und dann wieder zurück). Viel später: die Entscheidung ihres Mannes ...

Es ist schon mehr als zwei Jahre her, dass ich zum ersten Mal mit Frau Papsch sprach. Sie hatte das Buch von Dittmar May gelesen, rief mich an und bat mich darum, auch ihre Geschichte aufzuschreiben. Seit einigen Jahren schreibe sie auch selbst, in zwei verschiedenen Schreibgruppen, doch die entstandenen Texte wollten sich nicht zu einem Ganzen fügen.

Andere Projekte warteten auf ihren Abschluss, doch schließlich gelang es mir, zu ihr an den schönen Bodensee zu fahren (von dem ich leider nicht viel sah, dazu war keine Zeit). Ich hatte schon viele Texte von ihr gelesen, doch erst nach zwei längeren Interview-Gesprächen wurde mir klar, wie alles zusammenhing. Die Lektüre mehrerer Ordner aus der Stasi-Unterlagenbehörde brachte zusätzliche, schmerzliche Einsichten.

Aus Christine Papschs Stasi-Unterlagen

Für die Erstfassung des Buches ergänzte ich ( unterstützt von einem Kollegen) Christine Papschs eigene Texte durch die Geschichten aus den Interviews und brachte alles in eine Form und einen Stil. Bei einem weiteren Besuch am Bodensee gingen wir den Text noch einmal durch, fügten weiteres hinzu, klärten letzte Fragen und suchten Fotos aus.

So entstand eine faszinierende Familiengeschichte, ein deutsch-deutscher Roman und zugleich eine Dokumentation von Stasi-Methoden, mit denen unbescholtene und engagierte Bürger bedroht und kriminalisiert wurden. Christine Papsch machten sie letztlich heimatlos.

Die Beschreibung auf dem Buchrücken bringt die Geschichte auf den Punkt:

Christines Mann Josef besucht seine Mutter im Westen und kehrt nicht zurück. Für die leidenschafliche Physiotherapeutin beginnt ein jahrelanger Spießrutenlauf. Weil sie den Forderungen der Staatssicherheit nicht nachgibt und ihrem Mann die Treue hält, wird sie aus ihrer Arbeitsstelle gedrängt, sozial geächtet und schließlich verhaftet. 1985 verbringt sie sieben Monate im Untersuchungsgefängnis und im Frauenzuchthaus Hohenleuben. In ihrer Autobiografie erzählt Christine Papsch ehrlich und eindringlich davon, wie ihr Leben von Beginn an von den deutsch-deutschen Verhältnissen geprägt wurde. Bis in die engsten familiären Bindungen hinein.

Christine Papsch: Zwei Väter und kein Land. Erinnerungen an mein Leben vor und nach dem Ausreiseantrag
252 Seiten, Hardcover
22,– €
ISBN 978-3-347-47691-2